Vor dem Auftritt

Veröffentlicht am 5. Juli 2018
Dr. Gerlinde Lamprecht
5. Juli 2018

5 Tipps für mehr Sicherheit und mehr geistige Flexibilität beim Sprechauftritt
Heute möchte ich Ihnen meine Übersetzung eines Artikels von Belinda Mello, einer amerikanischen Alexander-Technik Lehrerin zur Verfügung stellen.
Sie gibt darin Schauspielern und Sängern Tipps, wie man vor einem Vorsprechen oder Vorsingen für eine Rolle mehr Sicherheit gewinnen kann und gleichzeitig innere Wachheit und geistige Beweglichkeit behält – in einer Situation, die durch Nervosität und Anspannung gekennzeichnet ist und dadurch leicht die Gefahr besteht, innerlich fest zu werden und ‚einzufrieren‘.
Auch wenn Sie keine SchauspielerIn sind, sondern Ihre Bühne am Rednerpult ist oder im Besprechungsraum bei der nächsten wichtigen Kundenpräsentation, lassen Sie sich doch von den Übungen inspirieren. Erzielen Sie so mehr innere Freiheit und einen lebendigen Ausdruck beim Sprechen.

Wie man einer ‚Erstarrung‘ bei einem Vorsprechen/Vorsingen vorbeugen kann:

5 Tipps basierend auf der Alexander-Technik
aus dem amerikanischen von Belinda Mello
Es gibt einen bekannten Satz unter Schauspielern, der lautet: „Schauspielen ist Re-Aktion“ („acting is reacting“). Und obwohl es stimmt, gilt es für viel mehr als nur für das Schauspielen. Vielmehr gilt, dass wir immer re-agieren, auch wenn wir nicht auf der Bühne oder beim Vorsprechen sind.
Wenn Sie während eines Vorsingens innerlich blockeiren, ragieren Sie auf die Erwartung, dass irgendwann in der Zukunft etwas schief gehen wird. Sie reagieren auf den schlimmsten Fall, obwohl es nicht wirklich passiert ist. Die Lösung ist, etwas anderes zufinden, auf das man stattdessen reagieren knn – etwas das es einam erlaubt, ehr spielersch als defensiv zusein.
Wenn wir uns unsicher fühlen, löst das in unserem Körper grundlegende Reaktionen des autonomen Nervensystems aus: Kampf, Flucht, Erstarrung (’sich tot stellen‘) Ohnmacht,. Diese Reaktionen lassen sich nur schwer direkt und schnell ändern. Das kommt daher, dass der Körper auf Furcht einen schnell Stoß Adrenalin erzeugt. Und selbst wenn der furchtsame Auslöseimpuls vorbei ist, dauert es 10 bis 20 Minuten, bis dieses Adrenalin wieder im Körper abgebaut ist.
Die typische Reaktion auf diese nervösen Gefühle ist, besondere Aufmerksamkeit darauf zu lenken. Aber mein Rat dazu ist,: Tun Sie es nicht. Schenken Sie diesen Reaktionen keine übermäßige Aufmerksamkeit.
Das mag sich kontraintutiv anfühlen, aber Sie sollten nicht damit beginnen, diese physischen Reaktionen korrigieren oder andere Reaktionen erzwingen zu wollen. Stattdessen sollte Sie die bereits begonnenen Reaktionen umgehen und zum nächsten Schritt übergehen.
Wenn Sie innerlich erstarren, bedeutet das, dass Sie Ihre Flexibilität und Verspieltheit verloren haben und es fällt Ihnen schwer, die Kontrolle wiederzuerlangen. Die gute Nachricht ist, dass Sie Ihr Nervensystem neu einstellen können, bevor Sie die Bühne betreten.
HIer sind ein paar Aufwärmübungen oder Spieel, die ich Schauspielern empfehle, die beim Vorsingen, am Filmset oder vor dem Auftritt dazu neigen, innerlich fest zu werden.

Das Namenspiel
Beginnen Sie damit, alles zu ‚katalogisieren‘, was Sie im Raum sehen können. Sehen Sie sich die Wand an und sagen Sie „Wand“. Sehen Sie sich den Stuhl an und sagen Sie „Stuhl“. Wenn Sie einen Stift in der Hand haben sagen Sie „Stift“. Sehr schnell: Aussehen und Name, sehen und Name, sehen und Name. Wenn Sie bereits vor dem Regisseur oder dem Casting-Direktor stehen, ist es am besten, dieses Spiel in Ihrem Kopf zu spielen, aber das Ziel ist das gleiche. Sie beginnen zu spielen und es gelingt jedes Mal.
Um das Spiel noch effektiver zu machen, lächeln Sie. Lassen Sie Ihre Gesichtsmuskeln auf Ihre Reaktionen und Interpretationen mit der Welt reagieren. Das ist ein weiterer großer Teil der Verspieltheit: Freude an dem zu finden, was man tut.

Wo ist der Boden?
Sobald Sie festgestellt haben, wo Sie sind und was um Sie herum ist, sind Sie sich bewusst, was Ihren Körper unterstützt. Spüren Sie dem Boden durch Ihren Körper, nicht durch die Augen. Ihre Propriozeption – die unbewussten Daten und Informationen, die Ihr Körper Ihrem Gehirn liefert, wenn er sich einfach in einem Raum befindet – wird Ihnen sagen, dass der Boden Eigenschaften hat, die für die Sicherheit wichtig sind. Der Bodern ist vertrauenswürdig, weil er fest ist, weil er sich nicht bewegt. Und egal, was Sie tun, er wird immer da sein; er ist eine Konstante. Und der Bonus ist, dass Sie diese harte, bewegungslose Unterstützung nicht mit Ihrem Körper nachbilden müssen. Im Gegenteil, Sie können überschüssige Spannung loslassen, weil der Boden für Sie hart und bewegungslos ist und Sie zuverlässig trägt.

Ausatmen
Die Leute denken oft, dass Schlüssel zur Beruhigung darin besteht, einzuatmen. Aber dadurch wird der Lufttank, zusätzlich zu der Luft, die bereits enthalten ist, nur noch mehr aufgefüllt. Das führt zu einem spannungserzeugenden Gefühl in der Brust, das sich wie Angst anfühlt. Oft atmet man dabei nur sehr oberflächlich.
Stattdessen atmen Sie aus! Nehmen Sie sich Zeit und benutzen Sie einen Konsonanten, um die Ausatmung zu Verlangsamen: „fffffffffffffffffffff“. Entleeren Sie den Tank und dann, einfach aufgrund der Gesetze der Physik, werden Sie automatisch einatmen. Mit dem Ausatmen beginnt Ihr spannkräftiger Atemvorgang. Von da an ermutigen Sie sich, tief in den Rücken zu atmen. fühlen Sie so so die Unterstützung des Bodens und des Raumes, in dem Sie sich befinden.
Wenn Sie sich nicht nur erstarrt, sonder auch müde und energielos fühlen, atmen Sie gegen einen kleinen Widerstand aus: „Schhhhhhhhhh“. Ein bisschen klingt das wie ein wütender Bibliothekar. Lassen Sie dieses Ausatmen so lange wie möglich andauern und geben Sie sich genügend Zeit, sich im Raum umzusehen, während Sie dies tun. Wenn Sie das nur eine paar Mal machen, können Sie Ihr System zurücksetzten. Und wenn Sie es getan haben, lächeln Sie darüber, dass sie es geschafft haben.

Dem Spiel zustimmen
Wenn wir spielen, suchen wir Vergnügen. Und wenn wir uns gut fühlen, leisten wir unser Bestes. Jetzt ist es an der Zeit, sich einzustimmen, indem Sie sich fragen, ob Sie mit dem Spielen einverstanden sind. Beachten Sie, dass Ihr Geist neugierig und wach ist und bereit ist zu spielen. Wenn wir zustimmen, verspielt zu sein, lassen wir unsere Sorge, perfekt sein zu müssen, los. Wir setzen nicht auf das Endergebnis, sondern auf die Vitalität im Spiel

Auf und Ab
Wenn Sie bereit sind zu spielen, erlauben Sie sich, sich zu entspannen. Erlauben Sie sich größer zu werden, sich auszudehen und in den Raum hinauszuwachsen. Lassen Sie die Muskeln, die Ihre Kopfbewegungen steuern frei, damit Sie ein freies balanciertes Spiel haben. Sie sind nun mit ganzer Bereitschaft offen für das Vorsprechen oder Vorsingen.
Während Sie die fünf Schritte von oben durchlaufen, behalten Sie den Überblick, über das. was funktioniert. Wenn etwas funktioniert, nicken Sie sanft mit dem Kopf und lächeln Sie. Und spielen Sie.
Ein Vorsingen ist eine Gelegenheit, den Casting-Agenten sehen und erleben zu lassen, wer Sie sind und was Sie künstlerisch begeistert. Denken sie daran, dass Sie Ihnen auch helfen. Die Agenten brauchen den perfekten Schauspieler, um die Rolle zu besetzen. Nutzen Sie die Gelegenheit, Ihnen zu zeigen, dass Sie es sein könnten.
Belinda Mello ist ein erfahrene Alexander-Technik-Lehrerin und Bewegungsspezialistin mit über 25 Jahren Erfahrung. Derzeit unterrichtet sie am SITI Konservatorium, NewYork und war 15 Jahre lang Assistenzprofessorin für Alexander-Technik am Brooklyn College/CUNY Theater Department, wo sie auch Schauspiel, Bewegung und Maske unterreichtet hat.

Den Original Artikel finden Sie hier
https://www.backstage.com/news/how-not-freeze-audition-5-alexander-technique-based-tips/